Interkontinentale Bergrettungsaktion am Mount Kenya

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10. – 17. 9. 1970

Die beiden Ärzte aus Innsbruck, Dr. Gert Judmaier, 29 Jahre alt und Dr. Oswald Ölz, 27 Jahre alt, waren im Zuge eines Afrikaurlaubes am Samstag, den 5. September 1970 durch die Nordwand des Mount Kenya auf den Gipfel des Batian geklettert, der mit 5199m der zweithöchste Berg Afrikas ist. Beim Abstieg am Nachmittag stürzte Gert Judmaier beim Ausschauhalten nach einer Abseilstelle mit einem ausbrechenden Block, ca. 20m tief ab, wobei er einen offenen Unterschenkelbruch erlitt. Das Seil war fast abgeschlagen, Oswald hatte noch nicht gesichert, denn sie bewegten sich noch im leichten Gelände am Beginn des Abstiegs in ca. 5150m Höhe.

Die verschiedensten Meldungen kamen durch die Presse nach Europa. Durch Zufall las auch der Vater Dr. Fritz Judmaier in Klagenfurt diese Nachrichten, worauf er nach Nairobi flog, um alles zu unternehmen, das zur Rettung seines Sohnes führen kann. Er hatte bereits durch telefonische Kontakte mit den Behörden in Kenya erkannt, dass eine Rettung aus der Gipfelregion des Mount Kenya mit den vor Ort zur Verfügung stehenden Rettungskräften nicht möglich sein wird.

Dr. Fritz Judmaier nützte seine Bekanntschaft mit Dr. Gerhard Flora und bat diesen eine Rettungsexpedition von Innsbruck aus, zum Mt. Kenya vorzubereiten. Tatsächlich ergab sich bei den Besprechungen in Nairobi, dass man es begrüßen würde, wenn eine Mannschaft von Bergrettungsspezialisten aus Tirol zu Hilfe kommen könnte.

In Innsbruck wurde am Dienstag und Mittwoch alles vorbereitet, für einen etwaigen Einsatz. Neben der Zusammenstellung der Ausrüstung gab es ein Problem bei der Auswahl der Bergretter, die für diesen außergewöhnlichen Einsatz zur Verfügung stehen sollten. Auf Grund der großen Höhe des Unfallortes sollten die Männer möglichst bereits akklimatisiert sein und durch die Einreisevroschriften für Kenya gab es eine Reihe von Impfungen, die vor der Abreise zu absolvieren gewesen wären. Durch Zufall ware gerade eine Mannschaft der BR Innsbruck von einer Hindukusch Expedition zurückgekehrt, von der Kurt Pittracher, Horst Bergmann und Dr. Raimund Margreiter für das kommende Unternehen zur Verfügung standen. Auch die Kameraden aus Hall, Walter Larcher und Werner Haim waren kürzlich im Himalaya und sagten ihre Teilnahme zu. Um drei Zweierseilschaften bilden zu können wurde noch ein sechster Mann gesucht. Nachdem es keinen akklimatisierten Kameraden mehr gab, fiel die Wahl auf mich. Wir hatten alles vorbereitet, nur alle Impfungen gingen sich in der Kürze nicht mehr aus. So mussten wir das Risiko bei der Einreise in Kenya in Kauf nehmen.

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Tatsächlich – am Donnerstag, 10.9. um 11h war das Telefonat da: „Kommt sofort – Gert lebt noch, sie bringen ihn aber nicht herunter!“

Dr. Flora organisierte den schnellst möglichen Flug nach Nairobi und so konnten wir um 16h mit dem BR-VW-Bus unter Begleitung eines Gendarmeriefahrzeuges ziemlich flott bis zur Grenze bei Kufstein fahren. Weiter gings bis zum Flughafen München, von wo wir mit einer Boeing 737 nach Frankfurt flogen, nachdem wir das ganze Gepäck (280kg) ziemlich günstig direkt bis Nairobi eingecheckt hatten. Durch „spezielles Handling“ an der Waage hatten wir nur mehr 260kg Gepäck, wofür wir DM 35,- pro kg verrechnet bekamen.

In einer VC 10 der East African Airways starteten wir in Frankfurt um 21h35 nach Nairobi. Während des acht Stunden dauernden Nachtfluges mussten wir ständig an den verletzten Gert Judmaier denken, der jetzt schon sechs Tage lang mit schwerer Verletzung fast unversorgt auf über 5000m liegt und einen verzweifelten Kampf ums Überleben führt. Ob wir da noch was machen können? Keiner glaubte an eine reale Chance, aber auch keiner äußerte sich in Richtung „aussichtslos“ – nur um ja nichts „zu verschreien“.

Wir landeten um 7h30 (Freitag) in Entebbe, Uganda, am Nordufer des Victoriasees. Bei diesem Zwischenstopp mussten wir kurz das Flugzeug verlassen. Die meisten von uns sind noch nie mit einer Verkehrsmaschine geflogen – und jetzt stiegen wir aus dem Flieger und konnten es gar nicht fassen, dass wir tatsächlich in Afrika gelandet sind! Kurt sagte zu mir: „Wow, da sind überhaupt nur lauter tiefschwarze Menschen rund um uns – i glaub wir sind wirklich in Afrika!!“
Die Uhr mussten wir um 2 Stunden vorstellen. Um 8h30 ging’s dann wieder weiter und um 10h30 waren wir in Nairobi, der Hauptstadt von Kenya.

Hier erwarteten uns schon 10 Reporter, Fotografen etc. und der Vater Dr. Fritz Judmaier. Die Sache war schon in ganz Ostafrika publik und die Öffentlichkeit hatte sehr großes Interesse, weil am Dienstag ein Hubschrauber mit dem amerikanischen Piloten Jim Hastings tödlich abgestürzt ist, bei dem Versuch, Material auf die Kami Tarn Hut zu liefern. Diese Hütte liegt auf 4550m, was für den Hubschrauber zu hoch war, der beim Anflug absackte und im Geröll zerschmetterte.

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Die Vorbereitungen für die Bergung liefen bereits auf Hochtouren. Der Polzeichef, Mr. Davis hatte bereits eine 8-sitzige Cessna bereitgestellt, in die wir nur mehr das Material umzuladen brauchten, um sofort nach Nanyuki weiter zu fliegen. Nicht einmal die Pässe haben wir gebraucht, geschweige denn eine Zollkontrolle oder die von uns gefürchtete Kontrolle der Impfungen . . .

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Der Flug nach Nayuki war sehr wichtig für uns, nicht nur, dass wir schnell waren, sondern die Möglichkeit mit der Cessna direkt über das Einsatzgebiet zu fliegen, war für unsere Orientierung von großem Vorteil. Wir konnten Oswald und Gert kurz unterm Gipfel erkennen, als wir in einer Höhe von 5200m vorbeiflogen. Es war ein sehr unruhiger, bockiger Flug, bei dem mir richtig schlecht wurde. Von dieser Übelkeit konnte ich mich nicht mehr richtig erholen, auch später nicht, ich hatte keine Chance dazu – weder die Möglichkeit auszuruhen, noch etwas Schlaf nachzuholen, noch etwas zu essen . . .

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Um 11h30 Landung in Nayuki, einem Natur-Flugfeld auf 2000m Höhe. Hier waren wir nun im echten, tiefen Afrika! Lauter schwarze Menschen waren um uns herum und warteten darauf bis wir uns das Berggewand angezogen hatten und das Material auf die Land Rovers verladen war. Hier verabschiedeten wir uns von Dr. Judmaier sen. und auf ging’s mit den Jeeps durch den Mt. Kenya Nationalpark, einem echten Urwald, bis zum Ende der Fahrtmöglichkeit in 3450m. Hier stand schon eine kleine Zeltstadt als Basislager der einheimischen Polizei, die als Trägermannschaft für die Rettung stationiert war. Wir sortierten unser Gepäck, machten Traglasten und legten den Trägern alles auf.

So konnten wir uns frei auf den Weg machen und etwas Kraft sparen für unsere eigentliche Aufgabe, die uns morgen erwartete. Durch Latschen und grasbewachsenes, freies Gelände gingen wir nun anfangs auf gutem Weg, später völlig weglos, Richtung Kami Hut. Lange dauerte es nicht, dann fing es zu regnen und zu hageln an. Es dauerte 3-4 Stunden bis es endlich aufhörte. Wir waren total durchnässt, weil wir unsere Ausrüstung den vorauseilenden Trägern mitgegeben hatten . . . Allerdings wurden wir auch wieder trocken, weil wir noch sehr weit zu gehen hatten.

Zuerst kamen wir auf einen Rücken, stiegen ab in ein weites, flaches Tal. Auf der anderen Seite ging’s wieder hinauf bis auf ca. 4100m und drüben wieder hinunter in ein zweites Tal, auf der anderen Seite wieder hinauf und hinunter in das dritte Tal, das Mac Kinders Valley. Es dauerte bis Mitternacht, bis wir am Ende des Tales beim Lager der Africani eintrafen. Von hier ist es noch eine Stunde bis zur Kami Hut, die aber voll belegt war. Manni (Dr. Raimund Margreiter) und ich blieben herunten im Lager, um wenigstens 3-4 Stunden rasten zu können. Werner, Horst, Kurt und Walter stiegen noch zur Hütte auf. Am Samstag früh wollten wir auch oben sein, um gemeinsam die Lage zu besprechen und die beste Möglichkeit für die Bergung zu diskutieren.

Dazu kam es nicht mehr. Die Ereignisse begannen sich zu überstürzen. Auf der Kami Hut empfingen die Kameraden einen Funkspruch von den Rettern am Berg, dass Gert immer mehr verfalle und eine sofortige Bergung unbedingt erforderlich sei. Solcherart aufgeputscht, entschlossen sich die vier Kameraden noch bei Dunkelheit aufzubrechen, um beim ersten Licht in die Wand einsteigen zu können. Eine planmäßige Bergung mit dem mitgebrachten Stahlseilgerät wurde ausgeschlossen, weil der Transport durch die Wand den ganzen Tag beansprucht hätte und eine Bergung noch am Samstag dadurch nicht möglich gewesen wäre. Es ging somit nur mehr darum, so schnell wie möglich zum Verletzten zu gelangen und ihn mit behelfsmäßigen Mitteln aus der Wand zu holen.

Für Manni und mich ergab sich nun das weitere Vorgehen automatisch. Obwohl wir auch beim ersten Licht (Samstag früh) aufbrachen, waren wir doch eine Stunde hinter unseren Kameraden zurück und konnten sie sicher nicht mehr einholen. Um 7h45 waren wir auf der Kami Hut, wo uns Ruth, die Freundin von Oswald, empfing und uns über die Lage und den Entschluss unserer Kameraden informierte. Wir erfuhren auch, dass ein 200m Seil am Einstieg deponiert sei, das wir für die Präparierung des Abstiegs verwenden können. Wir übernahmen somit die Aufgabe vom Einstieg aufwärts alle Abseilstellen vorzubereiten, wo möglich auch mit Fixseil auszustatten, solange bis wir mit der Mannschaft, die mit dem Verletzten von oben herab kommt, zusammentreffen werden.

Wir packten unsere Rucksäcke mit Biwakausrüstung und dann ging’s los durch die letzte Vegetation und Geröll bis zum Einstieg in ca. 4650m. Bis hier her begleiteten uns zwei Träger. Das 200m Seil fanden wir auch und bereiteten es sogleich zur Montage im letzten Abschnitt vor.

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Mit dem Seilende kletterte ich 4om hinauf, wobei Manni das riesige Seil entwirren musste, bevor er nachklettern konnte. In fünf Seillängen im IV. Grad stiegen wir in griffigem Fels aufwärts, bis das Seil zu Ende war. Inzwischen hat es wieder zu schneien und zu graupeln begonnen, sodass die Sache ziemlich alpin wurde. Hier schlug ich mit Manni ca. 12 Haken, an denen wir zwei getrennte Verankerungskreise aufbauten. Dies wurde die letzte Abseilstelle, von der aus wir mit dem 200m Seil auch in der Nacht noch den Wandfuß erreichen konnten.

Von hier ging’s wieder weiter – eine Länge IV, eine weitere Länge V- und noch eine IVer Länge bis hinauf ins Amphitheater. Bei jedem Stand machte ich gleich die fixe Verankerung, sodass wir später nur mehr einhängen brauchten und auch in der Dunkelheit abfahren konnten. Kaum kamen wir ins Amphitheater, da waren auch die anderen gerade vom Firminstower mit dem Abseilen fertig und hatten Gert schon herunten im Schotter des Amphitheaters.

Das war eine Meisterleistung – in dieser kurzen Zeit waren die vier bis auf die Höhe von ca. 5000m aufgestiegen, haben den Gert erreicht, Oswald begrüßt und sofort mit dem Aufbau einer Seilbahn begonnen. Dieser erste Teil stellte die größte Schwierigkeit für den Abtransport mit der ungeeigneten Trage (Stratcher) dar. Schon bis hierher hatten die Helfer John Temple und Silvano Barroso mit Oswald all ihre Kräfte und Geschicklichkeit gebraucht, um Gert über diese abschüssigen Felsen quer herüber zu bringen. Aber an diesem Abgrund sah man keine Möglichkeit mehr mit den vorhandenen Mitteln weiter zu kommen. Es musste eine 40m breite Schlucht hinüber zum Firminstower überwunden werden, um von dort dann weiter abseilen zu können. Diese Schlüsselstelle für den Abtransport wurde mit einem gespannten Seil überwunden, an dem man den Stretcher angehängt und frei in der Luft hinübergezogen hat. Nach zwei Seillängen über den senkrechten Fels, dann etwas flacher erreichten sie das Amphitheater. Hier trafen wir zusammen.

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Nun war Manni (Dr. Margreiter) an der Reihe. Die Bergung ist geritzt, das wussten wir, aber wir wollten ja einen Lebenden hinunter bringen und das war gar noch gar nicht so sicher. Die Verfassung von Gert, der nun schon den achten Tag nach seinem Unfall am Berg verbrachte, war miserabel, abgesehen davon, dass es ja als Wunder angesehen werden kann, dass er überhaupt noch lebte. Ohne die ärztlich kompetente Hilfe hätte er sicher keine Chance gehabt. Ca. 10 Spritzen bekam Gert jetzt von Manni sofort in die kaum mehr sichtbaren Venen, die er mit erstaunlicher Gelassenheit über sich ergehen ließ.

Die Aluminiumtrage war zwar für eine Wandbergung ungeeignet, aber doch so stabil gebaut, dass sie den ganzen Abtransport bis zum Wandfuß hinunter durchgehalten hat. Nach der Labung trugen wir die schwere Last durch das flache Gelände des Amphitheaters und begannen dann gleich mit der ersten Abseilstelle im unteren Wandbereich. Die Dämmerung setzte ein und damit wurde auch das Wetter wieder besser. Rettungstechnisch lief alles wie am Schnürchen. 2 Mann wurden mit 2 Seilen getrennt gesichert und bewegten die Trage nebeneinander, immer wieder aus einer Verkeilung heraus reißend, in der nun einsetzenden Dunkelheit nach unten, bis zur nächsten von uns vorbereiteten Abseilstelle. Die beiden „Abfahrer“ wechselten wir immer wieder aus, was aufgrund der hohen Anstrengung, die damit verbunden war, unbedingt erforderlich war.

Noch zweimal 40m, dann erreichten wir die letzte große vorbereitete Abseilverankerung, mit der wir 200m bis zum Wandfuß abfahren konnten. Inzwischen war es total dunkel geworden und alle Manöver haben sich drastisch verlangsamt. Ohne diese durchgehende letzte Abseilstelle hätten wir in der Finsternis noch einmal die Nacht abwarten müssen. So aber gelang es tatsächlich noch am gleichen Abend die Trage mit dem geschundenen Verletzten bis ins Kar hinunter zu bringen. Diesmal hängten sich Manni und Werner an die Trage und fuhren, wieder doppelt gesichert, zunächst 100m ab. Das ging noch recht gut, weil wir uns gut verständigen konnten. Bei der zweiten Hälfte der 200m langen Abseilstelle bekamen wir arge Probleme mit der Rufverbindung. So mussten wir drei Mann abklettern lassen, um in überschaubaren Abständen die Bewegungsbefehle von den Rettern unten, zur Bremsmannschaft oben an der Abseilverankerung, weitergeben zu können. Mit diesen „Zwischenrufmännern“ konnten wir schließlich um 22h die eigentliche Wandbergung durch das Erreichen des Einstiegs noch am gleichen Tag erfolgreich abschließen.

Hier am Einstieg warteten schon afrikanische Träger und halfen den Verletzten in der Trage bis zur Kami Hut zu bringen. Der Mond war aufgegangen und hat wesentlich dazu beigetragen, dass wir die ganze Aktion noch in dieser Nacht beenden konnten.
Mit Kurt habe ich noch die Abseilstelle abgebaut und in der Dunkelheit sind wir dann diese 200m hohe Wandstelle abgeklettert. Ganz schön „groggy“ sind wir schließlich um 00h30 als Letzte auf der Kami Hut eingetroffen.

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Nun hieß es zusammenrücken. Gert, Oswald und ich lagen unten, die vier Engländer oben in dem engen Hochlager. Ruth, ein Italiener und Manni lagen auf dem Boden und die anderen waren alle außerhalb der Hütte in Zelten oder im Biwaksack.

Bis 04h früh (Sonntag) wurde nun Gert von Manni richtig ärztlich versorgt. Ein kurzer Blick auf die Wunde war für die meisten in der Hütte unerlässlich, weil man den stechenden Geruch rundum nicht vorstellbar zuordnen konnte. Einen zweiten Blick hat aber wohl kaum mehr einer gemacht, zu grauenvoll hat das gebrochene Bein mit den blanken Knochensplittern und den verkrusteten Blutspuren ausgeschaut. Manni und auch Oswald haben gereinigt, ausgerichtet und verbunden so gut es möglich war. Schließlich wurde noch eine Luftpolsterschiene angebracht und dadurch für den weiteren Abtransport wesentlich bessere Voraussetzungen geschaffen.

Endlich konnten wir versuchen ein wenig zu schlafen, was wohl kaum jemandem richtig gelungen ist. Um 07h hieß es schon wieder aufstehen und zusammenpacken.

Ein kurzes Frühstück, dann wurde alles für die Träger zusammengestellt. Jetzt konnten wir unsere mitgebrachte Gebirgstrage mit dem aufmontierten Einrad zusammenstellen und Gert darauf richtig positionieren. Jetzt waren die afrikanischen Träger am Zug. 6 Mann bewegten abwechselnd die Trage, die an den schlechten Wegstellen und im Schlamm jedoch getragen werden musste. Auf den kurzen gut begehbaren Wegteilen konnte man mit dem Einrad schieben. Überwiegend wurde aber getragen, durch das ganze Mac Kinders Valley hinaus mehr als 20km . . .

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Wir, vom „Austrian Rescue-Team“ brauchten uns um den Einsatz der Trägerkräfte nicht kümmern, dazu gab es einen eigenen Führer, der drauf schaute, dass man den Gert nicht allzu sehr herumschüttelte und vor allem, dass er nicht umgeworfen wurde – was leicht passieren kann in diesem Gelände. Um 14h setzte wieder pünktlich der Regen ein, der uns dauerhaft bis gegen Abend begleitete. 9 Stunden lang waren wir unterwegs durch die Savanne, talauf, talab, bis wir endlich wieder das Lager am Beginn der Dschungelstrasse erreichten.

Am Äquator geht die Sonne um 18h ziemlich rapide unter. Genau zu dieser Zeit, in der Dämmerung, erreichte der Tross mit dem Verletzten das Base Camp, wo Vater Judmaier schon wartete. Es läuft mir heute noch kalt über den Rücken, wenn ich an die Szene denke, wie der Vater Judmaier damals beim letzten Licht des neunten Tages nach dem Unfall, den Trägern entgegen ging und seinen Sohn auf der Trage umarmen konnte. Es sind genau diese Momente, wofür wir Bergretter unsere ganze Tatkraft einsetzen – einen höheren Lohn kann es für uns nicht geben!

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Es war ergreifend. Man hat keinen Begriff, welche Ausmaße diese ganze Aktion bereits angenommen hatte. Reporter von allen Zeitungen, sogar ein Inder von der Quick war da und fotografierte und interviewte mitten im Dreck und Schlamm, der durch den andauernden Regen bereits knöcheltief war.
Bill Woodly, der mit seiner Cessna immer wieder Proviant, Medikamente und Decken in Fallschirm-Paketen auf die Hütte abwarf, war nun auch Begleiter des Trosses am letzten Stück.  Er warf uns Zettel ab, dass alles vorbereitet sei für den Weitertransport und, dass es nur mehr so und so weit sei und:   „Haltet durch – ganz Kenya betet für Euch!“ Das war eine der ergreifendsten Randerscheinungen dieses einmaligen Abenteuers.

Tatsächlich rollte von hier aus wieder alles präzise organisiert ab. Die 12 Fahrzeuge warteten nur auf uns und schon ging’s durch den Urwald 2,5 Std. hinaus bis nach Nanyuki zum Wilkens Airport. Hier warteten bereits zwei Maschinen, die nur uns nach Nairobi zu bringen hatten. Die Cessna, mit der wir gekommen waren, nahm Gert Judmaier und seinen Vater, Manni und einige Organisatoren mit und flog gleich ab. Dazu ist zu bemerken, dass der Wilken Airport nicht für Nachtstarts eingerichtet ist. Es war 21h und stockdunkel. Improvisation wird hier überall groß geschrieben . . . Links und rechts des Rollfeldes stellte man in großen Abständen Petroleumlampen hin und am Ende der Startbahn zeigte ein Fahrzeug mit eingeschalteten Scheinwerfern die ultimativ letzte Möglichkeit des Abhebens an! Man stelle sich so etwas bei uns vor – undenkbar – am Äquator geht das ausgezeichnet.

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Am Wilkens Airport zogen wir uns wieder um und bekamen einen Kaffee. Viele Leute waren da, alles Schaulustige – es war dies hier wirklich ein nationales Ereignis ersten Ranges. Eine Lady fragte mich ob ich „Igls“ kenne – da war sie auf Urlaub! Die Menschen wussten also sogar hier bereits, dass wir aus Tirol angereist waren. Für uns restliche vier Mann der Rettungsmannschaft und zwei Engländer, die ebenfalls an der Rettungsaktion beteiligt waren, stand eine eigene Dakota Maschine bereit, die uns etwa eine halbe Stunde später in 40 Minuten Nachtflug nach Nairobi brachte.

Am Flugplatz gab es „großen Bahnhof“. Fernsehteam, Radioreporter, Zeitungsreporter in Scharen ließen uns die längste Weile keine Ruhe und als wir ins Flughafengebäude eintraten, erklang von den Zuschauerrängen herunter lauter Applaus! Wir waren ganz weg von so viel Anteilnahme. Ing. Will, der österreichische Handelsdelegierte sagte nur immer: „Austrian Rescue Team“ und das wirkte bei allen Stellen – Passbehörde, Ämter und überhaupt überall wie ein „Sesam öffne Dich!“ Erst jetzt bemerkten wir, dass uns die meisten Leute schon erkannten, aufgrund der vielen Bilder, die in den ostafrikanischen Zeitungen in der letzten Woche täglich erschienen sind.

Gert war sofort nach der Ankunft am Flughafen mit der Rettung ins Krankenhaus gebracht worden, wo die Operation mit Narkosearzt und Chirurgen bereits vorbereitet war. Zwei Stunden lang hat man die Wunde von den Knochensplittern gereinigt und einen Transportgips angelegt. Prof. Judmaier und Dr. Margreiter assistierten dabei. Erleichtert erfuhren wir von Manni die Details und freuten uns wirklich sehr, dass wir nun  von einem positiven Abschluss unserer Aktion sprechen konnten.

Am Dienstag 15.9. erlebten wir den Nairobi Nationalpark mit unvergesslichen Eindrücken von richtig wilden Tieren, die wir in freier Natur noch nie so bewundern konnten. Ein großartiges Erlebnis. Nachmittags besuchten wir Gert im Krankenhaus, dem es schon wesentlich besser ging – er trank schon einen kräftigen Schluck Whisky! Abends brachte uns Ing. Will zum kleinen Flughafen, wo der Mountaineering Club of Kenya (MCK) ein eigenes Haus hat und wir zum Abendessen eingeladen waren. Es gab mehrere Ansprachen und wir überreichten als Geste der Dankbarkeit für die Hilfeleistung der MCK-Mitglieder die Gebirgstrage, Umlenkrolle, einige Seile, Haken, etc., was für unseren Heimflug wieder Übergepäck bedeutet hätte.

Mittwoch 16.9. traten wir den Heimflug an. Das Einchecken war eine echte Viecherei, wir hatten es hier als „Rescue Team“ wesentlich leichter als vorige Woche in München. Der 70kg-Sack flog einfach so über die Waage drüber ohne sie zu berühren. Anderes schweres Zeug hielt der Werner einfach in der Luft über der Waage, sodass wir überhaupt kein Übergepäck zu bezahlen hatten! Der Chef vom MCK mit dem riesigen Schnauzbart, steckte noch jedem von uns ein Wapperl ans Sakko, dann ging’s dahin. Für Gert hatte man eine ganze Sitzgruppe umgelegt und mit einem Vorhang eine richtige Kabine gemacht, wo er es relativ bequem in seiner Trage hatte.

Um 06h früh am Donnerstag, den 17.9. waren wir in Athen, von wo wir um 11h mit einer Caravelle der AUA Richtung Heimat fliegen konnten. In Wien gab es wieder „großen Bahnhof“ mit Fernsehen, Reporter etc. und einen Aufenthalt bis 16h30. Gert wurde mit einem Hubschrauber des Innenministeriums von Wien nach Innsbruck geflogen, wo er direkt auf der Wiese vor der Chirurgischen Klinik gelandet ist und von Dr. Gerhard Flora, dem Organisator dieser ersten interkontinentalen Bergrettungsaktion, empfangen wurde.

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Die Einmaligkeit dieser bedeutendsten Bergrettungsaktion, die von Tirol aus je unternommen wurde, liegt in der Summe all jener Glücksfälle, die zum unerwarteten Erfolg der Lebensrettung geführt haben.

1)    Die Tatsache, dass beide Bergsteiger nicht nur gute Kondition besaßen, sondern auch als praktizierende Ärzte beide in der Lage waren, die Situation richtig einzuschätzen und keine medizinischen Fehler im Umgang mit den Verletzungen zu machen.
2)    Der Vater, ebenfalls Mediziner, hatte das Herz am rechten Fleck und war auch finanziell in der Lage die aufwändige Rettungsaktion in die Wege zu leiten.
3)    Die unglaubliche Hilfsbereitschaft und organisatorische Perfektion aller kenyatischen Stellen, die für eine Rettungsaktion in Frage kamen, nur am Berg leider nicht ausreichende Kompetenz besaßen.
4)    Der riesige Medienrummel, der durch den immer größer werdenden Aufwand ständig forciert wurde und im Endeffekt nicht nur für die Mobilmachung aller Kräfte sorgte, sondern auch später für die Ausbildung und Finanzierung einer eigenen Bergrettung innerhalb der Nationalparkranger führte.
5)    Die Verbindung Dr. Fritz Judmaier mit Dr. Flora brachte den Volltreffer für die Auswahl der Rettungsmannschaft, die urplötzlich bereits mit den notwendigen Impfungen ausgestattet und für die Höhe über 5000m bereits akklimatisiert sein musste und außerdem die damals besten Bergretter Tirols darstellten.
6)    Die außerordentliche Zähigkeit und Zuversicht des Verletzten, der durch sein starkes Durchhalten den Hauptbeitrag für das allseits so hoch geschätzte Gelingen dieser Lebensrettung lieferte.

So etwas hat es noch nie gegeben und wird sich wohl auch kaum mehr in ähnlicher Form ereignen. (spitz)