Spaltenbergung mit Piper-Einsatz

1961

Viele Einsätze mit den Pipers sind wir Bergretter mit den Piloten des Innenministeriums geflogen. Vor allem bei Spaltenstürzen war der Einsatz der Flächenflugzeuge gefragt und berechtigt. Aus naheliegenden Gründen kamen immer die von den beiden Fliegern Bodem und Neumair besonders eingeschulten Innsbrucker Bergretter, zu den vom Erlebniswert hochgeschätzten Flugrettungseinsätzen. Es war die logische Konsequenz, dass die am schnellsten erreichbaren (in Innsbruck ansässigen) Bergretter zum Einsatz gerufen wurden. Der Umfang und die Art der Flugrettungseinsätze waren jedoch im Vergleich zur heutigen Flugrettung derart gering, dass noch niemand ernsthaft den Innsbrucker Bergrettern, ihre beneidenswerte Bevorzugung für die attraktiven Einsätze zum Vorwurf machte.

Als Beispiel für die Art der damaligen Flugrettungseinsätze – aus der Sicht des Bergretters – möchte ich eine ungewöhnliche, aber gut ausgegangene Begebenheit im Glocknergebiet aus dem Jahr 1961 erzählen:

Am Freitag, den 7. April um 16h rief mich Edi Bodem im Geschäft an: „Komm sofort, Einsatz Großglockner!“ Vom Geschäft nach Hause, umziehen, Fahrt zum Flugplatz und vorbereiten der Ausrüstung für eine Spaltenbergung. 17h Start zum Flug zwischen zwei Schlechtwetterfronten über die Zillertaler Alpen und die Hohen Tauern zur Ödwinkelscharte im Glocknergebiet.

Hier wurden die Hilferufe, des in eine Spalte gestürzten Rosenheimer Polizisten, von zufällig vorbeikommenden Bergsteigern gehört. Überschwängliche Hilfsbereitschaft der beiden unangeseilten Gletscherbegeher, bewirkte die fatale Begebenheit, dass der erste der beiden, sich zu rasch und zu unvorsichtig dem Spaltenrand näherte, aus dem er die Rufe vernommen hatte. Die Folge war der nächste Absturz in die gleiche Spalte. Beide hatten unheimliches Glück, weil sie beide auf eine gute Schneebrücke gefallen sind, ohne sich dabei Verletzungen zugezogen zu haben. Allerdings waren sie etwa 30m voneinander entfernt und auch in der Tiefe in „verschiedenen Stockwerken“. Der erste lag etwa 30m und der zweite ca. 10m tief in der Gletscherspalte. Ohne dass sie sich sehen konnten, war doch eine akustische Verständigung möglich. Eine weitere Besonderheit kommt dazu: Der zweite Gestürzte war ebenfalls Berufskollege (Polizist) aus Braunau. Der Unfall ereignete sich bereits vormittags. Durch den weiten Abstieg, den der Begleiter des „verunfallten Retters“ bis zur Meldestelle bei der Franz-Josefshöhe am Ende der Großglockner Hochalpenstrasse zurücklegen musste, bis er endlich die Möglichkeit zur Meldung des Unfalles bekam, verging wertvolle Zeit. So kam es, dass wir erst um 17h zum Rettungsflug starten konnten.

Im Anflug zum beschriebenen Unfallort sahen wir keinerlei Markierung der Spalte und wollten nach drei vergeblichen Runden schon nach Hause zurückkehren, als ich doch noch im letzten Moment eine Stelle entdeckte, die man vielleicht als Spalten-Einbruch definieren könnte. Edi entschied sich für die tageszeitlich sehr späte Landung in der Nähe des vermuteten Loches. Angeseilt gingen wir zum Spaltenrand (18h) und sofort erfuhren wir, dass wir tatsächlich den Unfallort gefunden hatten.

Die beiden Polizisten konnten sich in der Spalte gut verständigen und vertrieben sich die lange Wartezeit mit – singen . . . Nun konnten wir relativ einfach die beiden unverletzten Personen mittels zugeworfenem Seilsitz und Hubzug aus der Spalte befreien. Eine zweite Piper aus Salzburg war inzwischen neben uns gelandet. Bei Ende der Aktion war das Tageslicht für einen Start und Heimflug nicht mehr ausreichend, weshalb wir uns entschlossen zur Oberwalderhütte abzusteigen und dort zu übernachten. Obwohl die Hütte geschlossen war, gelang es uns durch das WC-Fenster einzusteigen und von innen die großen Fenster zu öffnen. Im Winterraum konnten wir gut übernachten und am nächsten Tag um 7h wieder zu unseren Flugzeugen aufsteigen, die wir an den Tragflächen fixiert hatten. Mit dem Gendarmen aus Salzburg stiegen die beiden Gestürzten zur Rudolfshütte ab und wir konnten den Rückflug nach Innsbruck antreten, mit dem ausgesprochen guten Gefühl, zwei Menschen das Leben gerettet zu haben. Am Samstag um 10h vormittags war ich wieder im Geschäft im Dienst. Somit hatte ich seit gestern 16h nur wenig beruflichen Zeitverlust, jedoch jede Menge Einsatzerlebnis getankt.

Um den Bericht der Verhältnisse aus dieser Zeit abzurunden, sei noch erwähnt, dass dieser Unfall damals viel Aufsehen erregte und auch ein Hubschrauber zur Beobachtung von Salzburg aus gestartet war. Die Art der Verständigung per Funk war für die Flieger selbstverständlich, für die Bergretter jedoch noch kaum möglich. So kam es, dass der HS-Pilot von der glücklichen Beendigung der Bergeaktion per Funk erfuhr und diese Nachricht auf einen Zettel schrieb, den er in einem Sack mit einer Beschwerung, der zur Unterstützung aufsteigenden Mannschaft abwarf. Diese ersparte sich dadurch den weiteren unnotwendigen Aufstieg.

Aus heutiger Sicht klingen einige Details aus dieser Geschichte fast unglaubwürdig. Tatsache ist, dass wir damals von Innsbruck aus mit den Pipers überall hingeflogen sind, wo die Hilfe eines Flächenflugzeuges erfolgversprechend war. Einsatzgebietsgrenzen gab es nicht, das Einsatzgebiet war die Zuständigkeit des BM für Inneres, theoretisch somit ganz Österreich. Das Kommando der Flugeinsätze befand sich in Wien und von dort wurde jene Maschine zum Unfallort geschickt, die gerade am nächsten greifbar war. So kamen wir mit den Salzburgern zusammen und haben keinerlei Probleme gehabt. Das erreichte Ziel, zwei Menschen aus einer Spalte befreit zu haben, haben wir gemeinsam genossen und sind anschließend wieder in unseren eigenen Wirkungskreis zurückgekehrt.

Eduard Bodem, der bis zu seiner Pensionierung 1970, Leiter der Flugeinsatzstelle Innsbruck war, war es beschieden, die gesamte Periode dieses Entwicklungsabschnittes der alpinen Flugrettung mit Flächenflugzeugen, in führender Position und gleichzeitig mit dominanter Tatkraft zu erleben und mitzugestalten. Zusammen mit Hans Neumayr wurden über 1000 verunglückte Touristen aus den Bergen Tirols und Vorarlbergs ins Tal gebracht und trugen dadurch wesentlich zur Verkürzung des Bergungsintervalls und auch zur Entlastung des Aufwandes der Bergrettung bei.