Edi Bodem, Pioniere der Flugrettung

Eduard Bodem  1910 – 1977

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Edi Bodem erzählt selbst von einem seiner spannendsten Flüge:

Nächtlicher Rettungsflug am 22. August 1960

Ein strahlend schöner Spätsommertag geht zu Ende. Er hat zahlreiche Bergsteiger zu schönen Fahrten gelockt. Nun streben sie müde und sonnengebräunt wieder den Schutzhütten zu. Doch entlang der Aufstiegsspur über das zerklüftete Hornkees im Zillertal hastet ein junger Bergsteiger atemlos der Berlinerhütte zu. Er schenkt den im Abendrot strahlenden Firnbergen keinen Blick. Er kämpft ein Rennen um Minunten. Ein Rennen, das er kaum gewinnen kann.
Am Trattenjoch, zwischen Turnerkamp und Berlinerspitze, ist seine Begleiterin von einem abstürzenden Felsblock getroffen und schwer verletzt worden. Während der Bergführer bei der Verletzten geblieben ist, läuft er mit dem Tod um die Wette talwärts. Um 18h30 errreicht er die Berlinerhütte.
An diesem Abend kehren auch die Segelflieger – die lautlosen Wanderer zwischen Wind und Wolken – zurück zum Flugplatz Innsbruck, nachdem die Sonnenthermik sie weit über die Berge und Täler getragen hatte.
Einer davon bin ich.
Eben, als ich mein Segelflugzeug in den Hangar bringe, werde ich zum Telefon der Flugeinsatzstelle gerufen. Der Wirt der Berlinerhütte verlangt aufgeregt nach mir.
„Karl, was gibt’s?“ – „Edi, wir brauchen Dich dringend!  Am Trattenjoch muss rasch eine Schwerverletzte geholt werden. Ich weiß nicht, ob sie überhaupt noch lebt!“
Ich kenne die Unfallstelle in 3040m Höhe genau und weiß, dass eine Flugzeuglandung auf dem felsigen Grenzkamm unmöglich ist. Aber vielleicht kann ich knapp unterhalb, im Firnfeld landen.
„Karl, ich starte so schnell es geht und schau was ich machen kann. Kommt ihr aber auch auf alle Fälle hinauf.“
In fieberhafter Eile wird das immer bereitstehende Rettungsflugzeug startklar gemacht, Pickel, Seil und Steigeisen in der Kabine verstaut und mit aufheulendem Motor hebe ich die treue Piper 180 von der Startbahn ab. Ich weiß, dass das Tageslicht gerade noch für den Hinflug reichen kann. Mit 5m pro Sekunde Steiggeschwindigkeit bin ich rasch über dem Glungezer und nehme nun Kurs auf das Mösele. Für die Schönheit der Berge, deren Gipfel im letzten Sonnenlicht leuchten, habe ich kein Auge. Die Zeit drängt, die Täler liegen schon im Dämmerschatten, aus den Dörfern blinken die ersten Lichter herauf. Gleichmäßig dröhnt der Motor. Meine Augen hängen an der Borduhr. Schnell, viel zu schnell verfliegt die Zeit! Längst habe ich mit der kleinen Hydraulikpumpe die Flugzeugskier unter die Räder geschoben und bin für die Schneelandung bereit. Schon erkenne ich das Trattenjoch zwischen Turnerkamp und Berlinerspitze. Ich donnere an der dunklen Nordflanke des Turnerkamps vorbei, husche im Tiefflug über die offenen Spalten des Hornkees – und da ist auch schon die Unfallstelle.
In geringer Höhe fliegend erkenne ich im zertrampelten und blutbefleckten Schneefeld deutlich eine reglose Gestalt. Daneben steht der Bergführer und winkt mir verzweifelt zu. Wo landen?
Ich gehe noch tiefer und spähe aus der Steilkurve nach einer Landemöglichkeit. Die gibt es nur in der obersten Firnmulde; weiter unten ist das Blankeis des Gletschers von großen Steinen übersät. Nur weil ich die Gegend als Bergsteiger gut kenne und weiß, dass der Firnschnee noch weich sein muss, kann ich die Landung wagen.
Im Anflug bäumt sich der Gletscher schier senkrecht auf. Ich fahre die Landeklappen aus und gebe zugleich Höhenruder und Vollgas. Schon spüre ich das Aufsetzen der Skier und ziehe das Flugzeug soweit als möglich den Steilhang hinauf. Die Maschine kommt zum Halten, rutscht dann trotz Vollgas ein Stück zurück und bleibt dann mit dröhnendem Motor stehen. Aus dem Cockpit heraus, das Flugzeug querdrehen und den Motor abstellen ist das Werk von Sekunden.
Etwa 100m über mir erkenne ich gegen den Abendhimmel den Felsgrat und den dort winkenden Bergführer. Auf meinen Ruf antwortet er, dass die Frau noch schwache Lebenszeichen gebe. Ich schnalle die Steigeisen an, fasse den Pickel und so schnell ich kann, geht’s über die felsdurchsetzte Eisflanke hinauf zum Joch. Keuchend vor Anstrengung erreiche ich die Unfallstelle. In der hereingebrochenen Dunkelheit kann ich gerade noch erkennen, dass die Frau an Armen und Beinen schwere offene Brüche hat und fast ausgeblutet ist. Eile tut not!
Ich seile mich an und lasse mir die Bewusstlose mit den Tragriemen der beiden Rucksäcke auf den Rücken binden. Der Bergführer sichert mich  nun Seillänge um Seillänge mit der schweren Last den Steilhang hinunter. In Dunkelheit und Steinschlag – ein gefährliches Unternehmen.
Um 22h30 bin ich mit der Verletzten beim Flugzeug. Lebt sie überhaupt noch? Umsonst taste ich in der Dunkelheit nach ihrem Puls. Doch da spüre ich einen leisen Atemzug. Sie lebt also! Mir wird klar, dass nur ein sofortiger Start ihr Leben noch retten kann. Hier oben auf dem Gletscher würde sie den nächsten Morgen nicht mehr erleben.
Als ich dem Bergführer meinen Entschluss mittteile, trotz völliger Dunkelheit zu starten, kann er das zuerst gar nicht fassen. Dann versucht er mich zu überreden, erst im Morgengrauen den Start zu wagen. Aber es geht um ein Menschenleben, da bleibt keine Wahl.
Nie werde ich die wenigen Sekunden dieses, meines gefährlichsten Starts, vergessen. Der Blick durch die Windschutzscheibe geht in völlige Finsternis. Nicht das Geringste ist zu sehen. Ich muss mich einfach darauf verlassen, dass das Flugzeug rechtzeitig abhebt, bevor es am Ende des Firnfeldes in die Felsen kracht.
Und – es hebt ab . . .  Aufatmend fahre ich die Klappen ein, pumpe die Skier wieder herauf und blicke noch kurz zu den einsamen Lichtern der Berlinerhütte hinunter, dann nehme ich Kurs auf Innsbruck. Inbrünstig hoffe ich, der gefährliche Flug möge nicht umsonst sein, das Schicksal möge das flackernde Lebenslicht der Schwerverletzten nicht vorzeitig erlöschen lassen.
Um 23h15 überfliege ich das hell erleuchtete Innsbruck – jedoch der Flughafen ist in völlige Dunkelheit gehüllt. Drei Runden fliege ich mit dröhnendem Motor um den Platz und warte auf das Aufflammen der Landebeleuchtung. – Umsonst! – So muss ich bei völliger Finsternis zur Landung ansetzen und besonders langsam sinkend, den ersten Landestoß abwarten. Bis zum letzten Moment ist von der Landebahn absolut nichts zu sehen. Doch auch dieses Manöver gelingt.
Nach zehntägiger Bewusstlosigkeit erwachte die damals 27 jährige Gertrude Krinninger in der Klinik. Ein Jahr später hat sie mich am Flugplatz besucht. Die Chirurgen hatten an ihr ein Wunder vollbracht. Nur ein gelähmtes Auge erinnert an den Schädelbruch und an die nächtliche Bergung mit dem Flugzeug. Der schönste Lohn für mich ist die Gewissheit, damals schneller als der Tod gewesen zu sein.

Hier noch ein Beispiel von Flugrettung 1961 mit Beteiligung der Bergrettung:

Spaltenbergung mit Piper-Einsatz

Viele Einsätze mit den Pipers sind wir Bergretter mit den Piloten des Innenministeriums geflogen. Vor allem bei Spaltenstürzen war der Einsatz der Flächenflugzeuge gefragt und berechtigt. Aus naheliegenden Gründen kamen immer die von den beiden Fliegern Bodem und Neumair besonders eingeschulten Innsbrucker Bergretter, zu den vom Erlebniswert hochgeschätzten Flugrettungseinsätzen. Es war die logische Konsequenz, dass die am schnellsten erreichbaren (in Innsbruck ansässigen) Bergretter zum Einsatz gerufen wurden. Der Umfang und die Art der Flugrettungseinsätze waren jedoch im Vergleich zur heutigen Flugrettung derart gering, dass noch niemand ernsthaft den Innsbrucker Bergrettern, ihre beneidenswerte Bevorzugung für die attraktiven Einsätze zum Vorwurf machte.

Als Beispiel für die Art der damaligen Flugrettungseinsätze – aus der Sicht des Bergretters – möchte ich eine ungewöhnliche, aber gut ausgegangene Begebenheit im Glocknergebiet aus dem Jahr 1961 erzählen:

Am Freitag, den 7. April um 16h rief mich Edi Bodem im Geschäft an: „Komm sofort, Einsatz Großglockner!“  Vom Geschäft nach Hause, umziehen, Fahrt zum Flugplatz und vorbereiten der Ausrüstung für eine Spaltenbergung. 17h Start zum Flug zwischen zwei Schlechtwetterfronten über die Zillertaler Alpen und die Hohen Tauern zur Ödwinkelscharte im Glocknergebiet.

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Hier wurden die Hilferufe, des in eine Spalte gestürzten Rosenheimer Polizisten, von zufällig vorbeikommenden Bergsteigern gehört. Überschwängliche Hilfsbereitschaft der beiden unangeseilten Gletscherbegeher, bewirkte die fatale Begebenheit, dass der erste der beiden, sich zu rasch und zu unvorsichtig dem Spaltenrand näherte, aus dem er die Rufe vernommen hatte. Die Folge war der nächste Absturz in die gleiche Spalte. Beide hatten unheimliches Glück, weil sie beide auf eine gute Schneebrücke gefallen sind, ohne sich dabei Verletzungen zugezogen zu haben. Allerdings waren sie etwa 30m voneinander entfernt und auch in der Tiefe in „verschiedenen Stockwerken“. Der erste lag etwa 30m und der zweite ca. 10m tief in der Gletscherspalte. Ohne dass sie sich sehen konnten, war doch eine akustische Verständigung möglich. Eine weitere Besonderheit kommt dazu: Der zweite Gestürzte war ebenfalls Berufskollege (Polizist) aus Braunau. Der Unfall ereignete sich bereits vormittags. Durch den weiten Abstieg, den der Begleiter des „verunfallten Retters“ bis zur Meldestelle bei der Franz-Josefshöhe am Ende der Großglockner Hochalpenstrasse zurücklegen musste, bis er endlich die Möglichkeit zur Meldung des Unfalles bekam, verging wertvolle Zeit. So kam es, dass wir erst um 17h zum Rettungsflug starten konnten.

Im Anflug zum beschriebenen Unfallort sahen wir keinerlei Markierung der Spalte und wollten nach drei vergeblichen Runden schon nach Hause zurückkehren, als ich doch noch im letzten Moment eine Stelle entdeckte, die man vielleicht als Spalten-Einbruch definieren könnte. Edi entschied sich für die tageszeitlich sehr späte Landung in der Nähe des vermuteten Loches. Angeseilt gingen wir zum Spaltenrand (18h) und sofort erfuhren wir, dass wir tatsächlich den Unfallort gefunden hatten.

Die beiden Polizisten konnten sich in der Spalte gut verständigen und vertrieben sich die lange Wartezeit mit – singen . . .  Nun konnten wir relativ einfach die beiden unverletzten Personen mittels zugeworfenem Seilsitz und Hubzug aus der Spalte befreien. Eine zweite Piper aus Salzburg war inzwischen neben uns gelandet. Bei Ende der Aktion war das Tageslicht für einen Start und Heimflug nicht mehr ausreichend, weshalb wir uns entschlossen zur Oberwalderhütte abzusteigen und dort zu übernachten. Obwohl die Hütte geschlossen war, gelang es uns durch das WC-Fenster einzusteigen und von innen die großen Fenster zu öffnen. Im Winterraum konnten wir gut übernachten und am nächsten Tag um 7h wieder zu unseren Flugzeugen aufsteigen, die wir an den Tragflächen fixiert hatten. Mit dem Gendarmen aus Salzburg stiegen die beiden Gestürzten zur Rudolfshütte ab und wir konnten den Rückflug nach Innsbruck antreten, mit dem ausgesprochen guten Gefühl, zwei Menschen das Leben gerettet zu haben. Am Samstag um 10h vormittags war ich wieder im Geschäft im Dienst. Somit hatte ich seit gestern 16h nur wenig beruflichen Zeitverlust, jedoch jede Menge Einsatzerlebnis getankt.

Um den Bericht der Verhältnisse aus dieser Zeit abzurunden, sei noch erwähnt, dass dieser Unfall damals viel Aufsehen erregte und auch ein Hubschrauber zur Beobachtung von Salzburg aus gestartet war. Die Art der Verständigung per Funk war für die Flieger selbstverständlich, für die Bergretter jedoch noch kaum möglich. So kam es, dass der HS-Pilot von der glücklichen Beendigung der Bergeaktion per Funk erfuhr und diese Nachricht auf einen Zettel schrieb, den er in einem Sack mit einer Beschwerung, der zur Unterstützung aufsteigenden Mannschaft abwarf. Diese ersparte sich dadurch den nicht mehr notwendigen weiteren Aufstieg.

Aus heutiger Sicht klingen einige Details aus dieser Geschichte fast unglaubwürdig. Tatsache ist, dass wir damals von Innsbruck aus mit den Pipers überall hingeflogen sind, wo die Hilfe eines Flächenflugzeuges erfolgversprechend war. Einsatzgebietsgrenzen gab es nicht, das Einsatzgebiet war die Zuständigkeit des BM für Inneres, theoretisch somit ganz Österreich. Das Kommando der Flugeinsätze befand sich in Wien und von dort wurde jene Maschine zum Unfallort geschickt, die gerade am nächsten greifbar war. So kamen wir mit den Salzburgern zusammen und haben keinerlei Probleme gehabt. Das erreichte Ziel, zwei Menschen aus einer Spalte befreit zu haben, haben wir gemeinsam genossen und sind anschließend wieder in unseren eigenen Wirkungskreis zurückgekehrt.

Eduard Bodem, der bis zu seiner Pensionierung 1970, Leiter der Flugeinsatzstelle Innsbruck war, war es beschieden, die gesamte Periode dieses Entwicklungsabschnittes der alpinen Flugrettung mit Flächenflugzeugen, in führender Position und gleichzeitig mit dominanter Tatkraft zu erleben und mitzugestalten. Zusammen mit Hans Neumayr wurden über 1000 verunglückte Touristen aus den Bergen Tirols und Vorarlbergs ins Tal gebracht und trugen dadurch wesentlich zur Verkürzung des Bergungsintervalls und auch zur Entlastung des Aufwandes der Bergrettung bei.

Insgesamt war jedoch die Flugrettung mittels Flächenflugzeugen noch nicht imstande die Tätigkeit der Bergrettung grundsätzlich zu beeinflussen. Dieser Schritt wurde erst später durch den Einsatz der Hubschrauber im alpinen Gelände ernsthaft wirksam. Deshalb wird auch die Periode der Flugrettung mit den Pipers als Übergang zwischen den Epochen gesehen.

Die zweite Epoche, war geprägt von der Entwicklung der Bergrettungsgeräte. Im Laufe der Jahre wurde der Erfolg des Einsatzes der immer wieder verbesserten Geräte, medienwirksam präsentiert, was zur weiteren Verbreitung der „modernen Bergrettungstechnik“ weltweit führte. Große Unterstützung dieser Bemühungen kam immer wieder durch aufsehenerregende Aktionen bei Großereignissen von Bergdramen, die in allen Details in der Weltpresse veröffentlicht wurden. Als absolute Höhepunkte gelten die Bergungen aus der Eiger Nordwand 1957 (Claudio Corti) durch die Bayrische Bergwacht mit Wiggerl Gramminger als Einsatzleiter und Alfred Hellepart am Stahlseil.

Weiters die interkontinentale BR-Aktion der Bergrettung Innsbruck 1970 am Mount Kenya, die sogar die Errichtung einer Bergrettung in Kenya, durch die staatliche Förderung von Österreich und Kenya, nach sich gezogen hat. Auch die teils mit riesigem Aufwand betriebenen großen Wandbergungen mit den 800m langen Stahlseilen an den Lalidererwänden, zeigten die in Tirol entwickelten und erzeugten BR-Geräte medial aufbereitet, gut sichtbar im Einsatz.

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Zur weltweiten Verbreitung der Tiroler BR-Geräte kam noch die defacto Gratislieferung unseres Know-Hows dazu. Zunächst in Kenya, später in Bhutan wurde durch den Ausbildungsleiter der OST Innsbruck, Kurt Pittracher, in mehrwöchigen Kursen ein Stammpersonal ausgebildet, das in die Lage versetzt wurde, die Tiroler BR-Technik in ihrem Land als Standard zur Hilfeleistung in Fällen von Bergnot, an die in der Folge zusätzlich auszubildenden Kameraden, weiterzugeben. Diese staatlich geförderten Aktionen zur Verbreitung der Tiroler BR-Technik bildeten den Höhepunkt und gleichzeitig auch den Abschluss der 2. Epoche, die gekennzeichnet war von der Entwicklung, der Bewährung und der großflächigen Verbreitung des in Tirol entstandenen Bergrettungswesens.

Zur zeitlichen Abgrenzung dieser Ära kann man als Anfang die Zeit des 2. Weltkrieges (um 1940) ansetzen und der Übergang in die 3. Epoche wurde durch das Eintreten des Flugrettungswesens bestimmt, das von 1956 bis 1969 mit den Flächenflugzeugen bestritten wurde. Der Einsatz von leistungsfähigen Hubschraubern (um 1970) brachte schließlich den tiefgreifendsten Einschnitt in die Abläufe der Bergrettung in Tirol und bildet deshalb den Beginn der dritten Epoche. (spitz)