Am 400-Meter-Seil

Wenn unser Wandbergesystem zum Einsatz kommt, dann geschieht das nicht im Übungsgelände am Goldbichl, sondern in Gelände wie jenem der Martinswand. Zum Trockentraining kommen deshalb bei der Bergrettung Innsbruck auch Übungen an den hohen Wänden dazu. Dafür ist ein Samstag gerade Recht, und am vergangenen Samstag war es so weit. Die Wetterprognose war ausnahmsweise gar nicht einmal so schlecht, und so starteten wir Richtung Martinswand.

Zuerst galt es, das benötigte Material mit kleiner Mannschaft den Klettersteig-Abstieg hinaufzutransportieren. Oben angekommen folgte eine kurze Besprechung über Abseilmöglichkeiten und fixe Stände für Bergungen aus den unterschiedlichen Abschnitten des Kaiser Max-Klettersteiges. Für uns fing der richtige Aufstieg aber erst an. Ein Unfall in der Route “Botanik Grandprix” stellte die Übungsannahme dar. Die Route ist immerhin 13 Seillängen im sechsten Schwierigkeitsgrad lang.

Vom Klettersteig-Aussteig geht es über Schrofengelände weiter aufwärts, wobei die am Weg verbliebenen Fixseile mehr der Orientierung als dem echten Halt dienen. Im Absturzgelände spannten wir ein Geländerseil, um die BergretterInnen sichern zu können. Bruno seilte sich als Opfer in die Route ab und bald zeigte sich eine der Schwierigkeiten dieser Übung: brüchiges Gelände.

Im Einsatzfall kann man sich das Gelände aber ebensowenig aussuchen sondern muss versuchen, das Risiko im vorhandenen Gelände zu minimieren. Mit dem neuen Wandbergesystem galt es also, die beste Abfahrtsroute zu finden um weder Patient noch nachfolgende Kletterer zu gefährden. Die Wand selbst war ziemlich nass und deshalb teilweise glatt wie ein Eislaufplatz. Das hatte aber einige Kletterer ebensowenig am Einstieg gehindert wie die Regentropfen, die dann und wann zu spüren waren.

Am Standplatz selbst ist Geduld und richtige Seilführung gefragt, in der Wand Konzentration und Vorsicht bei lockerem Material. In der Hälfte der Wand trafen wir auf “Opfer” Bruno und konnten ihn ins Wandbergesystem aufnehmen. Die weitere Abfahrt verzögerte sich aus Rücksicht auf anwesende Kletterer, bald aber ging es weiter. Es zeigte sich, dass das neue Ferno-Wandbergesystem komfortable Möglichkeiten der Fixierung bietet. Gegen Stein- und Erd(!)schlag ist man aber ebensowenig gefeit.

Die Seilführung des 400-Meter-Dyneema-Seils stellte sich besser als gedacht dar, und so konnten wir uns auf die schonende Bergung über Dächer, Bänder und durch Rinnen konzentrieren. Der Funkverkehr im Directmode gestaltete sich schwierig, eine Sache die uns noch zu denken geben wird. Als der Boden langsam näher kam trotzdem manchmal die bange Frage: “Wie viel Seil noch?” Schlussendlich ging es sich wunderbar aus, und nach 370 ausgegebenen Seilmetern konnten wir Bruno am Boden absetzen und die Standplatzmannschaft konnte sich ans Aufziehen, Einpacken und den Abstieg machen.

Für uns uns die anwesenden Kletterer in der Wand zeigte sich: Wir können das, ein bisschen Geduld ist im Falle eines Unfalles aber durchaus nötig. (Gebi)